
Fotografie, Architektur, Ansichten · Die Ostmoderne der DDR
Fotoserie über das Haus der Staatsorgane und der Partei in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz
Fotoserie · Architektur der Ostmoderne
Emil Rohde
M.A. Architektur
HTWK Leipzig
Prof. Dr.-Ing. Annette Menting · Professur für Entwurfsorientierte Baugeschichte und Baukultur
01 Mar 2025
Making-Of
Die Bilderserie wurde im Rahmen eines Seminars im Masterstudium in drei Etappen erarbeitet: In einer ersten fotografischen Annäherung wurde das Gebäude und dessen Umgebung dokumentarisch aufgenommen um den Ort räumlich zu erfahren und zu verstehen. Hierbei wurde sich dem Gebäude systematisch angenähert - zuerst mit größerer Entfernung zum Objekt, dann aus der Nähe bis hin zu Detailaufnahmen von Material und Fügung. Dabei wurde das Gebäude zwei mal vollständig umlaufen. Mit der anschließenden Recherche zum Ort und der Entstehung der Postkarte wurde ein genaueres Verständnis für die Motivwahl der Bilderserie gewonnen und die Transformation des Gebäudekomplexes in Verbindung mit der Aufnahme des Postkartenmotivs erörtert. Der thematische Schwerpunkt wurde vor dem Hintergrund des zweiten Bauabschnitts nach Aufnahme des Postkartenmotivs sowie dem Wandel des städtischen Umraums auf die Transformation des Ortes nach der Aufnahme der Postkarte bis heute gesetzt. Daher sollten bei der zweiten Fotoserie vor allem die Zick-Zack-Form des im zweiten Bauabschnitt entstandenen Gebäudeteils, die Spuren des abgerissenen Wilhelm-Pieck-Forums sowie Blickachsen in den transformierten, städtischen Umraum im Vordergrund stehen.
Nach dieser Leitidee entstand skizzenhaft ein Lageplan, der das Interhotel, die Stadthalle und die Wohnbauten mit Läden an der Straße der Nationen als weitere wichtige Bestandteile des ostmodernen Gebäudeensembles der Chemnitzer Stadtmitte hervorhebt. Eine Skizze fasst wichtige Beobachtungen zur Gebäudeform und Fassadengliederung des Hauses der Staatsorgane und der Partei sowie den angrenzenden Platzsituationen zusammen. Sie dient außerdem der Auseinandersetzung mit dem gestalterischen Konzept des Gebäudes hinsichtlich der Materialität und Textur sowie Fassadenstruktur. Auf dieser Grundlage wurden mehrere Kamerapositionen und Motivkompositionen definiert, die den Gebäudekörper, dessen Setzung sowie den städtebaulichen Umgriff einbeziehen.
Die Aufnahme der zweiten Fotoserie erfolgte eben wie bei der ersten Serie systematisch: Einige Motive der ersten Serie passten bereits zur Leitidee und wurden nachgestellt und nur minimal angepasst. Neue Motive wurden anschließend dem Lageplan entsprechend aufgenommen.
Darunter wird auch das Postkartenmotiv nachgestellt, um die Veränderungen im Stadtraum zum Zeitpunkt der Aufnahme des Postkartenmotivs aufzuzeigen. Diese werden vor allem in den infrastrukturellen Anpassungen für eine autogerechte Innenstadt durch erhöhtes Parkplatzaufkommen, aber auch an öffentliches Nahverkehrsangebot und Fahrradverkehr deutlich. Gleichzeitig tritt Begrünung durch Bäume und Hecken stärker in den Vordergrund.
Analyse der Gebäudearchitektur
Bei dem Haus der Staatsorgane und der Partei handelt es sich um ein Bauwerk aus der Zeit der DDR (Deutschen Demokratischen Republik), das die administrativen Aufgaben der politischen Staatsführung jener Zeit repräsentiert. Des Weiteren ist es in architektonischer Hinsicht ein wichtiger Zeuge der damaligen Baukultur repräsentativer Bauten und ist prägend für unser heutiges Verständnis der Architektur der Ostmoderne, die sich stetig wandelte und weiterentwickelte.
Entworfen von W. Sehm, G. Schlegel, W. Seidel und G. Arnold, wurde das Gebäude in zwei Bauabschnitten erbaut. In einem ersten Abschnitt von 1968 bis 1970 wurde der riegelförmige, parallel zur heutigen Brückenstraße verlaufende Gebäudeteil erbaut, der auch in der Postkarte sichtbar ist. In einem zweiten Bauabschnitt von 1977-1979, zwei Jahre nach Aufnahme der Postkarte, entstand dann der nordwestliche Gebäudeteil an der Ecke der Straßenkreuzung Brückenstraße-Mühlenstraße bestehend aus vier rechtwinklig zueinander stehenden Riegelsegmenten. Diese, zur stärkeren städtebaulichen Raumdefinition und Öffnung der langen Straßenzeile angewandte Zick-Zack-Geste, ist umgangssprachlich auch als „Parteisäge“ bekannt und mündet mit dem letzten Riegelsegment im 45°-Winkel zum Kreuzungsbereich. Das gesamte Gebäude ist etwa 280m lang und verfügt über neun Geschosse. Der entstandene Baukörper erstreckt sich über ca. 240m und erinnert mit einer Gebäudelänge von ca. 280m und einer Tiefe von ca. 15m an die Form eines Riegels. Im Erdgeschoss in der Sockelzone der langen Südwestfassade sowie an der schmalen Seite nach Südosten befinden sich Kolonnaden mit großflächigen Schaufenstern. Die Fassade der oberen Geschosse wird durch abwechselnde Fensterbänder und Paneele zur Fassadenverkleidung stark horizontal gegliedert.
Die monumentale, bronzene Karl-Marx-Büste des Bildhauers Lew Kerbel auf dem vorgelagerten Platz vor dem Haus der Staatsorgane und der Partei (links auf der Postkarte) wird durch eine in der Fassadenebene zurückspringende Kunstinstallation in die Architektur eingebettet. Gleichzeitig dient das Gebäude als ruhiger, klarer Hintergrund zur stärkeren Inszenierung des Monumente auch jenseits der Kunstinstallation in der Fassade. Diese Geste formt außerdem eine ideologische Aussage im Stadtzentrum.
Die Nordostfassade liest sich als die weniger repräsentative, andienende Rückseite mit Anlieferung und Parkplätzen. Dennoch wurden auch hier ornamentale Durchbruchfassadenelemente in reduzierter Formensprache für die Verkleidung von Fenstern und Treppenaufgängen verbaut, wie etwa bei der 1974 entstandenen Chemnitzer Stadthalle. Des Weiteren zeigt ein im ersten Obergeschoss an der äußeren, nordöstlichen Gebäudeecke der rückwärtigen Fassade befindliches Schaufenster ein Gemälde, das an den dort einst befindlichen Übergang zum Wilhelm-Pieck-Forum erinnert. So verweist auch die schiefervertäfelte Mauer mit der Aufschrift „FORUM“, die heute denParkplatz vom öffentlichen Straßenraum abgrenzt, auf den Verlauf des einstigen Übergangsbaus zum 1978/1983 durch Wolfgang Sehm und A. Bauer im Anschluss an das Haus der Staatsorgane und der Partei erbaute Wilhelm-Pieck-Forum, welches heute nicht mehr existiert. Der genaue Zeitpunkt des Abrisses ist nicht bekannt. Das Gebäude ist architektonisch der Ostmoderne der 1960er Jahre zuzuordnen, geprägt vom „Sowjetischen Modernismus“.
Politischer und städtischer Kontext
Chemnitz, von 1953 bis 1990 „Karl-Marx-Stadt“, war ein wichtiges industrielles und politisches Zentrum und somit wirtschaftlich von großer Bedeutung für die DDR, weshalb auf dem Parteitag der SED 1958 unter anderem die Neugestaltung des Chemnitzer Stadtzentrums beschlossen wurde. Hierbei sollte das Gebiet zwischen Rathaus, der heutigen Brückenstraße sowie der Straße der Nationen und der Wilhelm-Pieck-Straße das neue Zentrum darstellen. In diesem Kontext hat das Haus der Staatsorgane und der Partei als eine Architektur von sehr präsenter Lage im Zentrum der Stadt einen politischen, pädagogischen und sozialen Auftrag. Somit sollte das gebaute Umfeld zur gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung der Bürgerinnen und Bürger genutzt und eine aussichtsreiche Zukunft auf das Leben im Kommunismus vermittelt werden sollte. Weiterhin umfasste die Planung der Stadtzentren die Einbindung von Kommunikations- und Erlebniseinrichtungen. Auch Großzügigkeit und weitläufige Stadträume sowie die neue Stahlbetonskelettbauweise waren Teil des architektonischen Leitgedanken der Ostmoderne und standen stellvertretend für den Fortschritt der DDR.
Nutzung und Transformation bis heute
Genutzt wurde das Haus der Staatsorgane und der Partei zur Zeit der DDR nicht nur als Sitz verschiedener Institutionen der Partei und des Staates, einschließlich der SED-Kreisleitung und weiterer Verwaltungsbehörden, sondern verfügte auch über Ladenflächen zur gewerblichen Nutzung der Erdgeschosszone. Mit der politischen Wende 1989 und der anschließenden Wiedervereinigung Deutschlands verlor das Haus der Staatsorgane und der Partei seine ursprüngliche Funktion, da politische Strukturen aufgelöst wurden. Chemnitz, das nach der Wiedervereinigung wieder seinen alten Namen trug, erlebte wie viele andere Städte im Osten eine Phase des Umbruchs und der Transformation. Das Gebäude selbst wurde in den folgenden Jahren für unterschiedliche Zwecke genutzt. Ein Teil des Hauses beherbergte nach der Wiedervereinigung verschiedene Unternehmen, Büros und kulturelle Einrichtungen. Heute wird es vorrangig von mehreren Ämtern und Verwaltungseinrichtungen des Landes genutzt, verfügt aber außerdem über den „Chemnitz Open Space“ mit Kunstsammlungen. Bis auf letzteren ist das Gebäude nicht öffentlich zugänglich.
Quellen
Antipin, K. (2025). Die Architektur des sowjetischen Modernismus — was ist das? - Magazin - Goethe-Institut Russland. https://www.goethe.de/ins/ru/de/kul/mag/21726635.html
Dehio-Vereinigung, & de Gruyter. (k.D.). CHEMNITZ / Karl-Marx-Monument | Dehio DE. Aufgerufen am 17.02.2025. https://de.dehio.org/bauwerk/chemnitz-karl-marx-monument?term=chemnitz&start=64&position=65
Kolbe, C. (2018). Berlin, Dresden, Leipzig: Stalin-Architektur in der DDR. DER SPIEGEL. Aufgerufen am 17.02.2025. https://www.spiegel.de/geschichte/berlin-dresden-leipzig-stalin-architektur-in-der-ddr-a-1221495.html
Deiters, L. et al. (1989). Architekturführer DDR. Bezirk Karl-Marx-Stadt. Vlg. für Bauwesen. ISBN 9783345004100
Menting, A. (2025). Schauspielhaus Chemnitz : zwischen Zeiten und Räumen. Theater der Zeit. Aufgerufen am 17.02.2025. https://tdz.de/api/files/55148814-d9c0-4ad5-8dc4-0e7e40a53920/Schauspielhaus_Chemnitz_E-PDF.pdf
Wölfling, B. (k.D.). Gebäudeensemble am Karl-Marx-Monument. Aufgerufen am 17.02.2025. https://www.mdm-online.de/LGSuche_load.do?pk=%23gtouq0hl7K8%3D